Ein Rückblick auf die IVCA-Weltmeisterschaft 2025
Wenn man Geschichten von klassischen Radsportveranstaltungen hört, denkt man oft an Bartali, Merckx oder vielleicht sogar an die kühnen Vélocipèdisten des späten 19. Jahrhunderts – Männer mit gezwirbelten Schnurrbärten, Lederkappen und eiserner Disziplin. Doch im Jahr 2025 schrieb ein junger Deutscher mit Namen Ganó Strobel auf dem Hochrad ein eigenes Kapitel dieser traditionsreichen Historie.

Foto: IVCA, https://ivca2025.com/
Ein Turnier wie aus der Zeit gefallen
Vom 28. Mai bis zum 1. Juni 2025 versammelte sich die internationale Veloziped-Gemeinde zur 43. IVCA-Rallye in Frankreich, genauer gesagt am Fuße des märchenhaften Château de Sully-sur-Loire. Dieser Prachtbau, einst Bollwerk gegen die Wirren des Mittelalters, wurde zum Pilgerort für Fahrrad-Enthusiasten, die u.a auch dem Hochrad – der „Königin der Straße“ – ihre Ehre erwiesen.
Organisiert vom französischen Verein „Vélocipédia“ (ehemals „Les Amis de Tonton Vélo“), verwandelte sich das Schlossgelände in ein buntes Wimmelbild aus Schiebermützen, Knickerbockern und rasselnden Speichen. Und mitten unter den teils betagten, aber jung gebliebenen Velozipedisten: Vater Strobel mit seinen beiden Söhnen Ganó (14) und Charly (13) aus Deutschland.

Die Anfänge der Leidenschaft
Wer meine früheren Blog-Beiträge kennt, weiß: Die Hochrad-Geschichte der Strobels begann nicht in Sully, sondern auf deutschen Straßen, begleitet vom legendären Hochrad-Meister Frank Albert von der „Hochradfahrschule All Heil“. Inzwischen entwickelte sich eine sehr gute Freundschaft zwischen Frank und den Strobels, so dass sie gemeinsam den Jahreswechsel von 2024 zu 2025 feierten. Natürlich begleiteten diesen Besuch auch Ausfahrten mit dem Hochrad und so konnte Frank feststellen, wie geschickt und schnell Ganó und Charly inzwischen auf ihren Hochrädern unterwegs waren. Frank erzählte daraufhin von der Rallye der „International Veteran Cycle Association“ (IVCA), die 2025 in der herrlichen Umgebung des Château de Sully-sur-Loire in Frankreich stattfindet und die auch eine Hochrad-Weltmeisterschaft beinhaltet. Ziel der IVCA ist es nämlich, den Erhalt des klassischen Radsports in all seinen Formen, seiner Geschichte und seiner Nutzung zu bewahren.
Ermutigt durch Frank und mit kräftigem Tritt pedalierend, meldete Vater Rayk sich und die beiden Jungs auf den letzten Drücker für die WM an. Und während andere den Winter mit Kakao und Plätzchen auf dem Sofa verbrachten, verlegten Ganó und Charly ihr Training in den Sattel ihrer Hochrad-Nachbauten – Repliken, erschaffen nach den Maßgaben der goldenen Ära.
Das Replika-Rennen: Wo Gummi auf Asphalt trifft

Ganó und Charly schafften es, sich für die Kategorie der „Replica High Wheel Races“ – jenem Wettbewerb, bei dem originalgetreue Nachbauten der 1870er und 1880er Jahre um die Ehre kämpfen – zu qualifizieren. Und hier kam es dann zum Showdown. Als der Startschuss fiel, gab Ganó alles. Der Ältere der beiden Brüder, trat gegen eine illustre internationale Konkurrenz an, darunter auch der amtierende Weltmeister des Vorjahres Paolo Togni aus Italien, der für Tschechien antrat.

Was dann geschah, hatte kaum jemand erwartet: In einem hitzigen Duell Rad an Rad, Speiche an Speiche, riss Ganó auf der Zielgeraden das Blatt an sich und ließ den Vorjahressieger hinter sich. Den Weltmeistertitel 2025 errang der Franzose Alexandre Voisine, doch Ganó war es, der die erstaunten Blicke auf sich zog und als Zweiter die Ziellinie überquerte. Ein bisher vollkommen unbekannter Vierzehnjähriger wurde somit zum jüngsten Vizeweltmeister aller Zeiten auf dem Hochrad. Was für ein Sieg!

Sein jüngerer Bruder Charly, ebenso beherzt, erreichte immerhin Platz sieben – ein beachtliches Ergebnis in einem Starterfeld aus 22 Teilnehmern, das an Qualität und Stil einem viktorianischen Ritterturnier in nichts nachstand. Als jüngster Hochradfahrer – mit dem kleinsten Hochrad dieser Rallye – war der charmante Charly der Publikumsliebling dieses Drahtesel-Events.

Die Velozipedisten von Morgen
Die Strobel-Brüder waren bei der Rallye nicht nur Teilnehmer, sie waren ein Symbol. Ein lebender Beweis dafür, dass der historische Radsport nicht nur ein Hort für Sammler und Nostalgiker ist, sondern ein lebendiger, pulsierender Teil unserer Kulturgeschichte – mit Nachwuchs, der weder Furcht vor dem steilen Antritt des Hochrades, noch vor renommierter, internationaler Konkurrenz kennt.
Das ganze Spektakel – von Tauschbörsen in der ehrwürdigen „Badger Hall“ bis hin zu abendlichen Umzügen durch das UNESCO-geschützte Loiretal – war ein Fest für alle Sinne. Ein Treffen von Menschen, deren Herz im Takt ihres Speichenklangs schlägt.
Ausblick: Die Zukunft rollt hoch hinaus
Wer die Strobels kennt, der weiß: Das war erst der Anfang. Mit Schweiß auf der Stirn, Ölflecken auf den Hosen und Begeisterung im Blick werden Ganó und Charly weiterfahren – durch Parks, über Pflastersteine und vielleicht bis auf das oberste Treppchen des Siegerpodests.
Denn was ist ein Hochradfahrer anderes als ein Abenteurer auf Riesenreifen? Und Ganó Strobel? Vielleicht der nächste große Name in der Chronik des historischen Radsports.
Chapeau, Ganó! – Bis zum nächsten Rennen, wenn sich die schmalen, riesigen Vollgummireifen wieder über den Asphalt winden und wir rufen: „All Heil dem Hochrad!“

Fotos: Familie Strobel