Die Velocipediade 2025 in Chemnitz – inkl. eines Reiseberichtes der Hochrad-Familie Strobel

Wer an diesem Augustwochenende am Industriemuseum Chemnitz vorbeikam, hörte es schon lange bevor er etwas sah: das leise Sirren geölter Ketten, das leichte Quietschen von Sattelfedern – und immer wieder das Lachen der Menschen, die ihre Schätze aus Stahl und Holz mit Herzblut spazieren fuhren. Vom 15. bis 17. August 2025 rollte die 27. Velocipediade über das Gelände an der Zwickauer Straße – das Jahrestreffen des Vereins Historischer Fahrräder e. V. – und Gastgeber war das Industriemuseum Chemnitz.

Ein Wochenende voller Drahtesel-Nostalgie

Der Freitag startete früh – schon um 8 Uhr öffnete der Teilemarkt. Es war heiß, über 35 °C und die Sonne brannte über dem Hof, doch davon ließ sich niemand beirren: Nach dem Markt fanden Auktionen statt, bei denen emaillierte Blechschilder, Laternen, Pumpen, Kurbelgarnituren und rare Naben durch die Hände wanderten. Als der Abend dämmerte, klickten Karbidlampen und Dynamo-Lichter an: Die geführte Nachtfahrt zog sich wie eine leuchtende Perlenkette durch die Stadt und endete – standesgemäß – mit Sektempfang im Museum für sächsische Fahrzeuge.

Foto: Historische Fahrräder e.V.

Der Samstag legte dann einen kühleren Gang ein – perfekt für die Ausfahrt zur legendären Radrennbahn im Sportforum. Dort wartete der Sommerpreis der Steher: schweres Benzinaroma, knatternde Schrittmachermaschinen und das Brummen der Walzen – dahinter die Bahnrad-Haudegen. Hier fand ein Rendezvous musealer Eleganz der Velocipediade-Gäste mit den Rennsportbahnen aus Beton der Steher statt.

Kostüm, Kurbel, Kulturhauptstadt

Chemnitz, Europas Kulturhauptstadt 2025, gab die Kulisse und die Fahrrad-Oldtimer-Szene brachte den Charme. Zwischen Hochrädern und Sicherheitsniederrädern prangten nickelglänzende Glocken, polierte Speichennippel und patinierte Brooks-Sättel unter Fahrern in Tweed, Leinen und Mützen.


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Viele der Teilnehmer übernachteten direkt am Museumscampus. Tagsüber lief das Programm wie ein sauber eingestellter Freilauf: Wettbewerbe, Vereinsplenum, Fachsimpelei an jedem Stand, Geschichten von Schellack-Kettenöl und Bowdenzügen aus der Frühzeit der Velos. Es war ein Treffen, das genau die richtige Übersetzung fand – kraftvoll, aber nicht hetzend; stilvoll, aber nie steif.

Die Bühne: Das Industriemuseum Chemnitz

Das Museum war nicht nur Park- und Rastplatz, sondern Drehpunkt: Werkhof, Hallen und Freiflächen wurden zum Parcours für Lenkerbreiten und Radstände von anderthalb Jahrhunderten. Dass es hier passt, überrascht nicht. Das Haus ist das Zentrum sächsischer Industriekultur und 2025 hatte es die Velocipediade ausdrücklich als Highlight in ihr Jahresprogramm gesetzt.

Drei Tage im perfekten Tritt

Die 27. Velocipediade war eine Tour im idealen Trittfrequenzbereich: genug Luft für Geschichten, genug Zeit für Emotionen. Wer dabei war, hat Chemnitz nicht nur gesehen, sondern erfahren – vom Museumsinnenhof bis zur Betonpiste im Sportforum. Und wer heimfuhr, tat es mit einem Rucksack voller Kleinteile, einem Kopf voller Anekdoten und einer Kette, die wieder ein paar Glieder mehr hat: Jene aus Menschen, Orten und Rädern, die Historie nicht abstellen, sondern weiterrollen lassen.


Ein Reisebericht der Hochrad-Familie Strobel

Wir sind nun wieder zurück von der Velocipediade in Chemnitz – erfüllt von Eindrücken, Begegnungen und kleinen Abenteuern, die wir so schnell nicht vergessen werden. Gern möchten wir euch ein Stück auf unsere Reise mitnehmen.

Am Donnerstag packten wir unseren Wohnwagen und spannten ihn an den Dodge. Die größte Herausforderung: sechs Hochräder und ein Fahrrad für unseren 5-jährigen William sicher zu verstauen. Das kleine Hochrad für ihn war erst kurz zuvor fertig lackiert worden – so fuhr es quasi noch im Fahrtwind trocken!

Die gut 300 km lange Fahrt verlief erstaunlich ruhig, und nach vier Stunden rollten wir gegen Abend in Chemnitz ein – leider war es bereits dunkel. Doch auf dem Parkplatz des Industriemuseums fanden wir problemlos Platz, aßen noch unser mitgebrachtes Abendbrot und fielen müde, aber glücklich ins Bett.

Der Freitag begann lebendig: auf dem Teilemarkt sicherten sich Ganó und Charly ein paar echte Schnäppchen. William hatte aber nur eines im Kopf – endlich sein neues Hochrad auszuprobieren. Eigentlich sollte er die Hochradfahrschule bei Frank absolvieren, doch bis dieser gegen 15 Uhr erschien, übte William schon voller Begeisterung selbst. Aufsteigen, fahren, stürzen, absteigen, wieder aufsteigen – unermüdlich probierte er es, bei brütenden 36 °C.

Als Frank schließlich kam, konnte William bereits alleine fahren – und nicht nur das: Er nahm am Abend sogar gleich an der Nachtausfahrt teil! Rund 8 km ging es durch die Stadt, mit einem Zwischenstopp im Chemnitzer Fahrzeugmuseum, wo wir bei kühlen Getränken im Kellergewölbe plauderten. Gegen Mitternacht waren wir zurück am Industriemuseum, erfüllt von der warmen Sommernacht und dem ersten Hochrad-Abenteuer unseres jüngsten Sohnes.

Am Samstag stand die große Ausfahrt über 15 km auf dem Programm. Bei angenehm kühleren Temperaturen rollten wir im Verband durch Chemnitz, mit einer Mittagspause im Velodrom, wo parallel Steherrennen und andere Radwettkämpfe stattfanden.

Am Nachmittag dann der Höhepunkt: der Wettbewerb um den Rothgießerpokal. Dieses Jahr konnte ihn Klaus gewinnen – über 70 Jahre alt, mit seinem klapprigen Hochrad immer dabei, manchmal vom Pech verfolgt, aber stets mit Herzblut und Humor. Wir alle gönnten ihm den Pokal von Herzen – ein verdienter Moment!

Auch der kleine William startete mutig beim Hochradwettbewerb und konnte dort schon beeindrucken. Besonders spannend wurde es beim Uli-Feick- und Sven-Dewitz-Preis, bei dem die Teilnehmer über das schönste Fahrrad, das beste Kostüm und das gelungenste Gesamtpaket abstimmen durften. Und hier geschah etwas Wunderbares: William errang den 2. Platz im schönsten Gesamtpaket – als absoluter Neuling, der erst einen Tag zuvor Hochrad fahren gelernt hatte! Er wurde schnell zum Publikumsliebling der Velo 2025 und erhielt sogar spontan den 1. Platz für den Hochrad-Nachwuchs. Wir sind unfassbar stolz auf ihn!

Ganó und Charly glänzten ebenfalls – nicht nur auf ihren Hochrädern, sondern auch am Klavier, womit sie das Publikum begeisterten und die besondere Stimmung der Velo bereicherten.

Der Sonntag begann deutlich kühler – fast 10 Grad weniger als am Vortag. William legte noch erfolgreich seine Hochrad-Prüfung bei Frank ab, bevor wir das Industriemuseum in Ruhe besuchten und gemeinsam mit Frank essen gingen. Am späten Nachmittag traten wir schließlich die Heimreise an und kamen, wie bei der Hinfahrt, wieder im Dunkeln daheim an.

Die Velo 2025 in Chemnitz war für uns eine unvergessliche Reise voller schöner Momente: Freundschaften, Wettbewerbe, Ausfahrten, Musik, Geschichten – und natürlich Williams großartiger Einstieg in die Welt der Hochräder.

Wir sind glücklich und dankbar, ein Teil dieser wunderbaren Gemeinschaft gewesen zu sein und freuen uns schon jetzt auf die nächste Velo!

Fotos und Bericht: Janet Strobel

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